Soziotherapie - Unterstützung für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen
Soziotherapie ist eine Leistung der Krankenkassen, die noch recht unbekannt ist und im Beratungsalltag häufig übersehen wird. Dabei handelt es sich um ein umfassendes, langfristig angelegtes ambulantes Unterstützungsangebot für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Diese sind aufgrund ihrer Erkrankung teilweise nicht in der Lage, die notwendigen ambulanten Behandlungsangebote selbstständig zu organisieren und wahrzunehmen. Stationären Aufenthalte, die sowohl belastend für die Betroffenen als auch kostenintensiv für das Gesundheitssystem sind, können so vermieden oder verkürzt werden.
Bei der Soziotherapie unterstützen Fachkräfte Anspruchsberechtigte dabei, wieder selbstständiger an ärztlichen, psychotherapeutischen oder anderen Maßnahmen teilzunehmen. Ziel ist es insbesondere, ihre Eigenverantwortung zu stärken und sie in die Lage zu versetzen, Termine eigenständig wahrzunehmen.
Die Soziotherapie soll den Grundsatz „ambulant vor stationär“ fördern. Mit anderen Worten: Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, sollen Betroffene eine Behandlung möglichst in der ihnen vertrauten Umgebung wahrnehmen, anstatt ins Krankenhaus zu müssen.
Rechtsgrundlage der Soziotherapie
Die rechtliche Grundlage für die Soziotherapie findet sich in § 37a SGB V in Verbindung mit der Soziotherapie-Richtlinie (ST-RL). § 37a SGB V legt fest, dass die Krankenkassen die Kosten für Soziotherapie übernehmen können, wenn sie nötig ist. Die Richtlinie gibt dann genauer vor, wann und wie diese Therapie angewendet werden darf.
Die nachfolgenden Informationen beruhen insbesondere auf der ST-RL sowie auf der Broschüre Praxiswissen Soziotherapie der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Was passiert bei der Soziotherapie?
Die Soziotherapie bietet eine koordinierte psychosoziale Unterstützung und Anleitung im häuslichen und sozialen Umfeld, um die Selbstständigkeit der Betroffenen zu fördern. Konkret bedeutet dies, dass Soziotherapeutinnen und -therapeuten in Absprache mit den psychotherapeutisch oder ärztlich Behandelnden die Betroffenen im Alltag begleiten. Eine Soziotherapie-Einheit dauert in der Regel 60 Minuten. Soziotherapeutinnen und -therapeuten unterstützen bei krankheitsbedingten Herausforderungen und helfen dabei, wichtige Termine wahrzunehmen (z. B. Ergotherapie) oder bei der eigenverantwortlichen Einnahme von Medikamenten. Zudem können sie auch beim Aufbau einer geregelten Tagesstruktur und bei der Wochenplanung unterstützen. Auch alltägliche Aufgaben wie Einkaufen können gemeinsam geübt werden.
Sie sollen aber auch bei organisatorischen Angelegenheiten helfen – wie zum Beispiel beim Stellen von Anträgen oder der Kommunikation mit Behörden, Kliniken und anderen Institutionen.
Ein zentraler Bestandteil der Soziotherapie ist es, die Wahrnehmung der eigenen Erkrankung zu verbessern und den Umgang mit ihr zu schulen. Ein hilfreiches Instrument ist hierbei der Krisenplan, den die Soziotherapeutinnen und -therapeuten mit den Anspruchsberechtigten zusammen entwickeln. Der Plan enthält auch individuelle Warnsignale, die auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustands hinweisen, und hilft Betroffenen sowie den Soziotherapeutinnen bzw. -therapeuten, Krisensituationen frühzeitig zu erkennen und angemessen zu reagieren.
Wann kann eine Soziotherapie verordnet werden?
Betroffene ab 18 Jahren haben Anspruch auf bis zu 120 Stunden Soziotherapie innerhalb von drei Jahren. Auch für unter 18-Jährige kann die Soziotherapie in Ausnahmefällen verordnet werden, insbesondere wenn die Begleitung der Jugendlichen durch Eltern oder andere Personen nicht sichergestellt werden kann.
Damit eine Soziotherapie verordnet werden kann, müssen die Betroffenen über eine gewisse Belastbarkeit und Motivation verfügen sowie bereit sein, mit den Behandelnden zusammenzuarbeiten und Vereinbarungen einzuhalten.
Neben dieser individuellen Eignung muss eine schwerwiegende psychische Erkrankung der Betroffenen vorliegen. Diese definiert § 2 der Richtlinie. Eine detaillierte Übersicht der Voraussetzungen finden Sie auch im o.g. Praxiswissen Soziotherapie der KBV (siehe dort Seite 4 folgende).
Wer kann eine Soziotherapie verordnen?
Soziotherapie kann insbesondere von Fachärztinnen und Fachärzten für Psychiatrie, Neurologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie von Psychotherapeutinnen und -therapeuten verordnet werden. Nicht alle Ärzte bzw. Ärztinnen dürfen eine Soziotherapie verordnen, auch nicht Hausärztinnen und -ärzte. Sie können betroffene Person natürlich an eine geeignete Stelle überweisen.
Im Entlassmanagement dürfen auch Krankenhäuser Soziotherapie für bis zu sieben Tage verordnen, wenn eine sofortige Unterstützung erforderlich ist.
Was gilt es im Antragsverfahren zu beachten?
Eine Soziotherapie muss vor Beginn der Therapie von der Krankenkasse genehmigt werden. Die Krankenkassen können den Medizinischen Dienst (MDK) hinzuziehen, der dann prüft, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer Soziotherapie vorliegen.
Um festzustellen, ob eine Therapie mit der betroffenen Person überhaupt durchführbar ist (Therapiefähigkeit), können zunächst bis zu fünf Probestunden verordnet werden. Die Probestunden können aber auch anders genutzt werden: Wenn Ärzte bzw. Ärztinnen die Soziotherapie selbst nicht verordnen dürfen (siehe oben: „Wer kann Soziotherapie verordnen?“) und dafür an eine geeignete Stelle überweisen wollen, dann können Soziotherapeutinnen bzw. -therapeuten die betroffene Person dabei unterstützen, der Überweisung selbst nachzukommen. Eine Genehmigung der Krankenkasse für Probestunden ist nicht nötig. Wenn anschließend eine Soziotherapie erfolgt, werden sie aber auf das Gesamtstundenkontingent angerechnet.
Der genaue Umfang der Therapie orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen und wird in einem soziotherapeutischen Betreuungsplan festgelegt, der mit dem Antrag eingereicht werden muss. Im Betreuungsplan werden Therapieziele und -verlauf inklusive der einzelnen Teilschritte festgehalten. Der Plan wird regelmäßig von den behandelnden ärztlichen bzw. therapeutischen Fachpersonen sowie den Soziotherapeutinnen und -therapeuten gemeinsam mit den Anspruchsberechtigten besprochen und bei Bedarf angepasst.
Rahmenbedingungen und regionale Unterschiede
Das Angebot an praktizierenden Soziotherapeutinnen und -therapeuten variiert in den Bundesländern. Da es keine einheitliche Regelung auf Bundesebene gibt, ist es ratsam, sich bei der zuständigen Krankenkasse über das Angebot zu informieren. Auch bieten Kassenärztliche Vereinigungen entsprechende Übersichten an. Sie können auch Fachärztinnen und Fachärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ansprechen, da sie oft mit gemeindepsychiatrischen Netzwerken zusammenarbeiten und die regionalen Strukturen kennen.
Auch die Soziotherapeuten als Leistungserbringer müssen sich in den verschiedenen Bundesländern an unterschiedliche Vorgaben anpassen. Ein Beispiel dafür sind die allgemeinen Anforderungen an Leistungserbringer der Soziotherapie in Berlin.
Falls in Ihrer Region kein Angebot verfügbar ist, können ähnliche Unterstützungsangebote bei Ihren regionalen sozialpsychiatrischen Diensten angefragt werden.