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Inklusiv Wohnen: Im Gespräch mit WOHN:SINN e. V.

Icon Zwei Menschen mit Pfeilen

An vielen Orten gibt es bereits inklusive Wohnformen. Darunter versteht man Haus- oder Wohngemeinschaften, in denen Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenleben. WOHN:SINN e. V. ist ein Bündnis von Akteuren des inklusiven Wohnens aus ganz Deutschland. Im Gespräch mit Tobias Polsfuß erfahren wir, wie inklusive Wohngemeinschaften funktionieren und was das Besondere daran ist. Außerdem verrät er uns alle wichtigen Informationen für Interessierte, die inklusiv wohnen wollen oder eine inklusive WG gründen möchten.

Tobias Polsfuß startete WOHN:SINN ursprünglich als ehrenamtliches Projekt und ist mittlerweile Bundeskoordinator und Geschäftsführer des Vereins WOHN:SINN – Bündnis für inklusives Wohnen e. V., der aus dem Projekt entstanden ist.

Herr Polsfuß, wie ist die Idee zur Gründung zu Ihrem Projekt, vor allem der inklusiven WG, entstanden?

Tobias Polsfuß: Ich selbst bin eher zufällig in eine inklusive Wohngemeinschaft gezogen. Auf der Suche nach einer Bleibe am Anfang meines Studiums erzählte mir jemand vom Verein Gemeinsam Leben Lernen. Dieser betreibt mittlerweile zehn WGs, in denen Menschen mit und ohne sogenannte geistige Behinderungen zusammenleben. Was für mich zugegeben erst einmal wie ein Abenteuer wirkte, stellte sich als ein tolles Zuhause heraus, in dem ich nun achteinhalb Jahre lebe.

Viele inklusive Wohnprojekte starten aus privater Initiative von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen, die mit dem bestehenden Wohnangebot unzufrieden sind. Aber es gibt auch viele Träger der Behindertenhilfe, die in Zeiten des BTHG neue Wege einschlagen wollen und sich auf inklusive Angebote ausrichten. Auch Wohnungsunternehmen kommen auf uns zu und möchten zu inklusivem Wohnen beraten werden.

Was bedeutet barrierefrei für Ihre Wohngemeinschaften?

Tobias Polsfuß: Die Wohngemeinschaften in unserem Netzwerk sind so vielfältig wie ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Baulich reicht das Spektrum von kleinen Wohnungen im nicht gerade barrierefreien Altbau bis hin zur rollstuhlgerechten Neubauwohnung. Letzteres überwiegt allerdings eindeutig, da die Wohnungen häufig nicht nur barrierefrei sein müssen, sondern auch andere Anforderungen haben, z. B. Gemeinschaftsräume.

Im Neubau empfehlen wir immer am Bedarf der Zielgruppe zu planen, wenn möglich diese auch aktiv einzubinden. Es ist wichtig zu verstehen, dass Barrierefreiheit immer günstiger kommt, wenn sie von Anfang an mitgedacht wird. Dabei sollte auch ein Augenmerk auf die Flexibilität geworfen werden. Nur weil jemand jetzt keinen Rollstuhl benötigt, muss das nicht immer so sein oder vielleicht sitzt ja auch seine neue Freundin im Rollstuhl, die zu Besuch kommen möchte.

Wie wird das Zusammenleben aller (Bewohner*innen mit und ohne Behinderungen und der fachlichen Unterstützung) organisiert? Wie gestaltet sich der Alltag?

Tobias Polsfuß: Eine inklusive WG braucht eine gewisse Struktur. Weit weniger als ein Heim, aber doch mehr als eine klassische Studenten-WG. Häufig gibt es Dienstpläne, die den Haushalt und die Assistenz für die behinderten Bewohner*innen regeln. Außerdem arbeitet in aller Regel mindestens eine sozialpädagogische Fachkraft als Koordinator*in in der WG. Sie moderiert das Zusammenleben und kümmert sich um Organisatorisches. Wichtig ist auch der Blick für jeden Einzelnen, gerade wenn sich jemand nicht oder nur schwer äußern kann. Dass es Struktur braucht, soll aber nicht heißen, dass sich das Leben nach der Struktur richtet. Wilde Partys oder auch einfach mal auf das eigene Zimmer verkriechen – jeder muss seine eigene Balance finden.

Welche drei Stichworte fallen Ihnen zum Wohnen in einer inklusiven WG ein?

Tobias Polsfuß:

  • Selbstbestimmung: In einer inklusiven WG entscheidet jeder selbst, wann er/sie ins Bett gehen möchte oder wer ihm/ihr beim Duschen hilft.
  • Soziales Miteinander: Durch das Zusammenleben in einer Wohn- oder Hausgemeinschaft entstehen neue Freundschaften – auch über die Zeit als Mitbewohner*innen hinaus.
  • Flexible Unterstützung: Dadurch, dass in inklusiven WGs die nicht-behinderten Mitbewohner*innen häufig in die Assistenz miteingebunden sind, entsteht eine gewisse Flexibilität, die nur mit Fachpersonal meist nicht gegeben ist.

Exkurs WG vs. Alleine wohnen: Welche Vorteile bieten die inklusiven Haus- und Wohngemeinschaften?

Tobias Polsfuß: Die Vorteile sind im Großen und Ganzen die drei Stichpunkte, die ich gerade genannt habe. In inklusiven WGs wird man meist sehr warmherzig empfangen, man unternimmt viel zusammen, kann sich aber auch zurückziehen. Das Zusammenleben ist sehr prägend. Eine Mitbewohnerin meinte mal: „Niemand geht hier raus, wie er reingekommen ist.“

Geeignet sind sie demnach für Menschen, die Gemeinschaft mögen. Wer nach der Arbeit am liebsten seine Ruhe hat, ist wahrscheinlich am falschen Platz. In einer inklusiven Hausgemeinschaft ist es jedoch auch möglich, die Gemeinschaft etwas lockerer zu planen, mit eigenen Wohnungen und einem gemeinsamen Garten zum Beispiel.

Herr Polsfuß, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

 

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite von WOHN:SINN e. V..

WOHN:SINN e. V. plant eine Fortbildung für die EUTB®-Angebote, die zu inklusivem Wohnen beraten möchten. Sie startet voraussichtlich im kommenden Jahr. Wenn Sie Interesse haben, abonnieren Sie den Newsletter von WOHN:SINN e. V. - dort bleiben Sie auf dem Laufenden.

10/2021