Die dritte Reformstufe des BTHG trat ab Januar 2020 in Kraft. Wir erläutern die wichtigsten Punkte.
Das Ziel des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ist es, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen durch mehr Teilhabe an der Gesellschaft, mehr Selbstbestimmung und mehr Möglichkeiten zur individuellen Lebensführung zu verbessern. Ihre Position im sozialrechtlichen Dreieck, also gegenüber Leistungsträgern und Leistungserbringern, soll gestärkt werden.
Kern des BTHG ist die Personenzentrierung: Der einzelne Mensch soll bei der Gestaltung seiner Unterstützung, beispielsweise bezogen auf die Wohnform, im Mittelpunkt stehen. Es soll nicht mehr über den Menschen mit Behinderung(en), sondern mit diesem gemeinsam beraten und gehandelt werden, um die individuelle Lebensplanung und Selbstbestimmung zu fördern. Ziel ist es „die Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ [herauszuführen] und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht [weiterzuentwickeln]. […] Leistungen sollen nicht länger institutionenzentriert, sondern personenzentriert bereitgestellt werden.“ (aus dem Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode, siehe Seite 78).
Anfang 2017 und danach 2018 sind die ersten beiden Reformstufen des BTHG in Kraft getreten. Die dritte Reformstufe des BTHG, die ab dem 1.1.2020 gilt, umfasst folgende Änderungen:
- Die Eingliederungshilfe wird aus dem System der Sozialhilfe (SGB XII) ausgegliedert und findet in einem eigenen Leistungsgesetz Geltung. Dazu wird die Eingliederungshilfe als neuer Teil 2 in das SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – überführt und neu strukturiert.
- Dabei erfolgt die Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen.
- Weitreichende Änderungen bei der Einkommens- und Vermögensheranziehung.
Die Eingliederungshilfe als eigenes Leistungsgesetz
Durch die Überführung in das SGB IX erfolgt eine Konzentration der Eingliederungshilfe auf die beeinträchtigungsbedingten notwendigen Fachleistungen. Sie wird aus dem System der Sozialhilfe herausgelöst und umfasst nunmehr die vier Leistungsgruppen medizinische Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe an Bildung und Soziale Teilhabe.
Die Leistungen zum Lebensunterhalt von erwachsenen Menschen mit Behinderung werden ab dem 01.01.2020 nicht von der Eingliederungshilfe, sondern vom Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (z. B. Jobcenter) oder weiter vom Sozialhilfeträger, bzw. Träger der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (3. Kapitel des SGB XII „Hilfe zum Lebensunterhalt“ oder 4. Kapitel des SGB XII – „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“) erbracht. Diese unterscheiden sich grundsätzlich nicht von Leistungen zum Lebensunterhalt, die Menschen ohne Beeinträchtigung erhalten.
Bei den Leistungen zum Lebensunterhalt wird künftig nicht mehr nach der Unterbringungsform differenziert. Die Sonderregelungen für den Lebensunterhalt in Einrichtungen der Eingliederungshilfe fallen ersatzlos weg (vgl. BT-Drs. 18/9522, S. 200).
Für minderjährige Menschen mit Behinderung wird durch Sonderregelungen das bis zum 31.12.2019 geltende Recht weitergeführt.
Trennung der Leistungen, was bedeutet das in der Praxis?
Die Systemumstellung bei der Finanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe (Fachleistungen) und der Leistungen zum Lebensunterhalt (existenzsichernde Leistungen) ist erforderlich, damit diese personenzentrierter erbracht werden können. Hiermit verbunden ist auch eine neue Struktur der Finanzierung beim Wohnen für Menschen mit Behinderungen, die in stationären Einrichtungen (zukünftig: besondere Wohnformen) leben. Die dort erbrachten Unterstützungsleistungen, zum Beispiel Assistenzleistungen, werden durch den Eingliederungshilfeträger finanziert und an die besondere Wohnform gezahlt. Die Leistungen zum Lebensunterhalt zahlt der Sozialhilfeträger jedoch direkt an die Betroffenen. Von dem Geld müssen sie dann die Unterkunfts- und Verpflegungskosten in den besonderen Wohnformen bezahlen.
Das führt zu einer erhöhten Transparenz und Selbstbestimmung der Betroffenen. Sie können nun im Rahmen ihrer verfügbaren Mittel selbst entscheiden, wofür sie ihr Geld verwenden.
Anrechnung von Einkommen und Vermögen
Mit der Umsetzung des BTHG haben sich in zwei Stufen die Vermögensgrenzen beim Bezug von Leistungen der Eingliederungshilfe verändert. Bis zum 31.12.2019 galt die Übergangsregelung (§ 60 a SGB XII), wonach Menschen mit Behinderungen, die Eingliederungshilfe beziehen, zusätzlich zum Schonvermögen nach dem SGB XII einen Vermögensfreibetrag i.H.v. 25.000 € für ihre Lebensführung und Alterssicherung erhalten. Mit der dritten Reformstufe orientiert sich die Vermögensfreigrenze ab dem 01.01.2020 an der jährlichen Bezugsgröße zur Sozialversicherung der alten Bundesländer (37.380,00 € im Jahr 2019). Von dieser Größe werden 150%, also derzeit 56.070,00 €, als Vermögensfreigrenze festgelegt.
Ab 2020 ändern sich auch die Regeln bei der Einkommensberücksichtigung. Statt des bislang üblichen Monats-Nettoeinkommens wird das Jahres-Bruttoeinkommen gemäß Steuerbescheid abzüglich Werbungskosten als Berechnungsgrundlage herangezogen. Der Einkommensfreibetrag leitet sich ebenfalls aus der jährlichen Bezugsgröße zur Sozialversicherung der alten Bundesländer ab. Von dem übersteigenden Einkommen wird ein Eigenbeitrag von 2% monatlich erhoben (abgerundet auf volle 10 €).
Das Partnereinkommen und -vermögen wird nicht mehr herangezogen. Dies bewirkt unter anderem, dass dann auch Menschen Teilhabeleistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen können, denen das bislang nicht möglich war.
Die vierte und letzte Reformstufe des BTHG soll zum 1.1.2023 in Kraft treten und den leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe neu definieren. Dies wurde erforderlich, nachdem im parlamentarischen Verfahren zum Bundesteilhabegesetz die sogenannte 5-aus-9-Regelung gekippt wurde. Der künftige Inhalt der Neuregelung muss erst noch unter wissenschaftlicher Begleitung erarbeitet werden.
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